Integrationshilfe für Kinder mit Behinderungen in Oldenburger Schulen
Die Sachgeschichte von der Qualität, die ihren Preis hat!
(leider keine Lachgeschichte)
Podiumsdiskussion 5.11.2009
GS Nadorst
Das hier, das sind der Roland und seine Tochter Rosa.
Der Roland hat seine Tochter sehr lieb und will sie fördern so gut es eben geht.
Rosa ist ein Kind mit einem „Förderbedarf Geistige Entwicklung“.
Klingt umständlich, heißt aber nix anderes als: Die Rosa braucht im Schulalltag Unterstützung.
Und das ist die Melanie und ihr Sohn Mika.
Auch die Melanie hat ihren Sohn sehr lieb und will ihn fördern, so gut es eben geht.
Mika ist genau wie Rosa ein Kind mit einem „Förderbedarf Geistige Entwicklung“.
Rosa und Mika brauchen also beide im Schulalltag Unterstützung.
Die beiden haben im Prinzip großes Glück: In ihrer Nähe gibt es eine Grundschule,
in der alle Kinder willkommen sind, egal ob mit oder ohne Behinderung, also auch die Rosa und der Mika.
Und dann hat auch noch die Regierung des Landes, in dem sie leben, eine Vereinbarung
unterschrieben, die man „UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ nennt.
Darin steht, dass Menschen mit Behinderung am ganz normalen Schulsystem teilhaben sollen und
zwar so, dass es ihren besonderen Bedürfnissen entspricht.
Die Vereinten Nationen, die sich diese wirklich tolle Vereinbarung ausgedacht haben,
haben auch gleich mit dazugeschrieben, dass dem Einzelnen die dazu nötige Unterstützung
ermöglicht werden soll. Wer vorhin gut aufgepasst hat beim Lesen, hat gemerkt, dass da gerade
von „im Prinzip großes Glück haben“ die Rede war. Aber „im Prinzip Glück haben“ und „wirklich Glück haben“
sind leider nicht dasselbe.
Denn bevor Rosa und Mika dann auch in echt Unterstützungsleistungen bekommen,
die ihren Bedürfnissen entsprechen, hat auch noch die Gisela ein Wörtchen mitzureden.
Die Gisela leitet eine Abteilung beim Sozialamt und muss sich um die Umsetzung der
beschlossenen Gesetze und Vereinbarungen, also auch der Konvention, für ganz viele
Menschen kümmern.
Das macht die Gisela aus ihrer Sicht und aus der ihres Chefs dann gut, wenn sie schön
spart und dafür nicht mehr Geld ausgibt, als unbedingt nötig.
Das nennt man Wirtschaftlichkeitsgebot. Aber aufgepasst!
Auch wenn man das manchmal denken könnte, kommt das Geld, das die Gisela ausgibt,
nicht aus ihrem eigenen Sparschwein, sondern aus dem Topf, in den alle Leute in Deutschland
einzahlen, die Arbeit haben.
Von dem Geld sollen hauptsächlich Dinge bezahlt werden, die dem Gemeinwohl dienen.
Würde man die Einzahler fragen, wofür das ganze Geld, das sie einzahlen, denn ausgegeben werden
soll, würden viel mehr Leute „für die Bildung“ antworten als „für die Rettung der Banken“ oder
„für neue Panzer“ oder so was.
Wenn ihr das nicht glaubt, fragt mal die Großen in eurem Bekanntenkreis oder eurer Familie.
Aber zurück zu Roland, Rosa, Melanie und Mika!
Roland und Melanie kennen die UN-Konvention und gehen zu der sparsamen Gisela,
damit die ihnen die Unterstützungsleistungen bewilligt, von denen in der Konvention die Rede ist.
Roland und Melanie müssen das erstmal aufwändig begründen und den Bedarf von Rosa und Mika nachweisen.
Das sehen beide ein (denn sonst könnte ja jeder sich solche Leistungen verschaffen) und tun das so gut sie können.
Roland fällt das leichter, weil er eine Schwester hat, die sich mit sowas gut auskennt aber Melanie findet das alles sehr schwierig und kompliziert.
Beide sorgen sich, ob das Sozialamt den Bedarf wohl genauso einschätzt,
wie sie ihn selbst von ihrem Leben mit Rosa und Mika kennen.
Dann kommt endlich - kurz vor Schulbeginn - das Schreiben vom Amt: Rosa und Mika
bekommen zusammen 15 Stunden Integrationshilfe im Unterricht an der Grundschule.
Das ist etwas weniger, als beide gebraucht hätten, damit ihre Eltern ein ruhiges Gefühl bei der Sache
haben können, aber sie wollen versuchen, damit hinzukommen.
Dann macht die Gisela den beiden ein Angebot (das hat der Gesetzgeber ihr so vorgeschrieben):
Sie können die Unterstützungs- leistung entweder direkt von einem Hilfsdienst bekommen, mit dem
die Gisela eine besondere Vereinbarung getroffen hat, oder Geld dafür bekommen, selbst einen
Vertrag mit einer Person oder einem Hilfsdienst ihrer Wahl abzuschließen.
Das ist schön für die Gisela, denn eigentlich sind solche Leistungen viel teurer, und sie hat deshalb
unter den ganzen Diensten der Stadt auch nur einen Anbieter gefunden, der sich auf so wenig Bezahlung
einlässt.
Das ist aber gar nicht schön für die Helfer, die bei diesem Hilfsdienst arbeiten, denn selbst wenn der
ihnen möglichst viel auszahlt, verdienen sie durch geringen Einsatz von der Gisela (und nach Abzug
Steuern und allem) viel zu wenig. Manche bleiben deshalb auch nicht sehr lange bei ihrem Arbeitgeber.
So kommt es, dass es für die zu betreuenden Kinder im Lauf des Schuljahrs immer wieder neue
Helfer gibt. Und das wiederum ist gar nicht schön für die Kinder, die Helfer und die Lehrer.
Roland hat davon schon gehört und weil seine Schwester ihm auch weiter bei den komplizierten
Sachen helfen kann, macht er es anders als Melanie.
Er will lieber vom Amt Geld für eine eigene Helferin erhalten, als sich für den von der Gisela
verpflichte Hilfsdienst zu entscheiden.
Und weil die Gisela ihren Job gut macht und schön auf Sparsamkeit achtet, bietet sie dem
Roland für die selbst ausgesuchte Helferin 11,-- € pro Stunde an – etwas mehr als die Hälfte
davon bleibt (nach Abzug der Steuern und so) für die Helferin übrig.
Wenn Ihr in der Schule gut aufgepasst habt, habt ihr gemerkt, dass die Gisela dabei pro Stunde 4,31 € spart.
Das ist schön für die Gisela, und ihr Chef findet das bestimmt auch prima, bedeutet aber, dass die
Helferin von Rosa noch weniger verdient als die Leute vom Hilfsdienst.
Und dass der Roland (und seine Schwester) als private Arbeitgeber für ihre Helferin all die
stundenlange Arbeit, viel Papierkram und Telefonate auf sich nehmen, ohne dafür auch nur
einen Cent zu bekommen. So und jetzt denkt nochmal scharf nach: stand da nicht in dieser
Konvention, dass Behinderte „teilhaben sollen und zwar so, dass es ihren besonderen Bedürfnissen
entspricht. Und das dem Einzelnen die dazu nötige Unterstützung ermöglicht werden soll.“
Ganz genau richtig! Gut aufgepasst.
Bestimmt kommen euch jetzt ganz viele Fragen auf einmal, z. B.
Warum ist das eigentlich so kompliziert, wenn man möchte, dass die Konvention, zu der im Grunde
alle „ja“ sagen, auch umgesetzt wird?
Warum kann die Gisela durch ihren Sparwillen diese Umsetzung behindern?
Wieso können nur Menschen wie Roland, die eine schlaue Schwester oder ähnliches haben
oder selbst ganz schön schlau sind, und die viel Zeit haben, überhaupt diese Rechte für sich einfordern?
Und wo bleiben eigentlich bei all diesen Wirtschaftlichkeits- überlegungen die berechtigten
Interessen von Rosa und Mika?
(…und weil Fragen stellen immer `ne gute Sache ist, wollten wir mit dieser Geschichte auch genau das erreichen!)
Vielen Dank
für ihre Aufmerksamkeit
die Elterninitiative sehgeschädigter Kinder zwischen Weser & Ems
Die Inhalte sind nach einer Präsentation der
AG Bildung des Arbeitskreises für Behindertenfragen Oldenburg (2009)