Verbandstag des BVN am 20.11.2010
Drei Vertreter der Elterninitiative waren als Gäste zum Verbandstag am 20.11.2010 des BVNs eingeladen. Von Vertretern der Politik, der Verbände und des Sozialministeriums wurden zahlreiche Grußworte gesprochen. Besonders gut gefiel uns die Rede von Herrn Lange - Geschäftsführer des BVNs.
Zur Inklusion sagte Herr Lange folgendes:
„Inklusion – jeder von Ihnen hat mit Sicherheit inzwischen gehört, wenn es um die Schule der Zukunft geht. Aber meine Damen und Herren, die UN-Konvention will eigentlich viel mehr. Sie möchte eine inklusive Gesellschaft für behinderte Menschen. Nicht, dass behinderte Menschen Zug um Zug in die Gesellschaft integriert werden müssen, sondern sie setzt voraus, dass wir gemeinsam bereit sind, diese Gesellschaft so zu gestalten und zu organisieren, dass behinderte Menschen von Anfang an richtig selbstverständlich ihren Platz in ihrer Mitte finden. Nicht dass ausgegrenzt und mühsam dann später integriert, das ist sicherlich auch auf Dauer ohnehin nicht der richtige Weg.
(Beifall) Inklusion haben wir wahrgenommen in der schulpolitischen Diskussion. Ich kann mich noch an die Landtagsanhörung erinnern, als die Grünen im März den Gesetzesentwurf zur inklusiven Beschulung eingebracht haben und gleichzeitig ist die Diskussion hier im Land umgegangen um das zwölfte oder dreizehnte Abiturjahr. Ich habe mich ein bisschen darüber gewundert damals, wie groß doch die öffentliche Aufmerksamkeit gerade für diese Frage war. Also: Soll es zwölf Jahre oder dreizehn Jahre dauern, bis zum Abitur geführt wird. So richtig hat damals gar keiner wahrgenommen, dass die Diskussion über die inklusive Beschulung dann, wenn man die Inklusion umsetzen würde in das Schulrecht, viel weiter greifende Auswirkungen auf das Schulsystem in unserem Lande hat als die Frage, ob man zwölf oder dreizehn Jahre zum Abitur braucht.
Denn inklusive Schule heißt eine völlig neue Schulform zu etablieren. Und wir haben diese Frage von Anfang an gerade mit den Elternvertretern, die in unserem Verband organisiert sind, immer diskutiert. Natürlich im Augenblick vordringlich gerade mit der Fragestellung, wie können wir denn die Rahmenbedingungen für blinde und sehbehinderte Kinder oder ihre Eltern verbessern, die im Augenblick schon im Rahmen der integrativen Beschulung ein integratives Schulsystem gewählt haben. Das hat schon eine große Zahl der Eltern getan. Danach sollte es schon ein Stückchen Normalität sein. Und dennoch ist es für Eltern heute immer noch ein heftiger Kampf darum, A die Hilfsmittel rechtzeitig zu bekommen, B die entsprechende sonderpädagogische Versorgung sicher zu stellen, also dass die notwendigen Schulstunden zur Begleitung zur Verfügung gestellt werden, und darüber hinaus natürlich, dass die entsprechende Assistenzleistung vom Kostenträger zur Verfügung gestellt wird. Das allein macht schon Mühe und Arbeit und Kampf genug. Darüber hinaus geht es aber auch um die Frage, wie werden die die Materialien und Hilfsmittel, die notwendig sind, um den Unterricht in gleicher Weise wie die nicht behinderten Mitschüler verfolgen zu können, wie werden sie aufbereitet, wie werden sie zur Verfügung gestellt. Wenn ich mir heute anschaue, welches Engagement von den betroffenen Eltern heute notwendig ist, um gerade eine angemessene materielle Versorgung, also die entsprechenden Schulmaterialien ihrer Kinder sicher zu stellen, dann ist es ein weit größeres Engagement von Eltern, das notwendig ist, als von Eltern erwartet kann, die nicht behinderte Kinder einschulen. Und daran, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss sich auf Dauer etwas ändern.
Das ständige Herumschlagen mit den Kostenträgern, das ständige Kämpfen müssen, Einkommens- und Vermögensverhältnisse unter Umständen nachweisen zu müssen, obwohl nicht rechtens in Teilen – wir wissen das! Aber der Kampf mit den Sozialbehörden ist trotzdem nicht so einfach für die Eltern zu bestehen, da muss Abhilfe geschaffen werden, da muss ein Stück mehr Sicherheit hinzukommen. Ziel ist es natürlich auch für diese Eltern letztlich ihre Kinder an eine inklusive Schule zu binden. Das setzt aber gerade für blinde und sehbehinderte Kinder voraus, dass dabei absolut nicht außer Acht gelassen werden darf, dass eine adäquate sonderpädagogische Begleitung auf Dauer notwendig ist. Es ist vor allen Dingen darauf zu achten, dass die materiellen Voraussetzungen, was die Barrierefreiheit angeht, natürlich insgesamt gegeben sein müssen. Wir haben intensiv darüber diskutiert und sind uns eigentlich einig darüber, die inklusive Beschulung: Ja! Das ist mit Sicherheit der richtige Weg in die Zukunft. Das wird maßgeblich das Bild der heutigen Schule verändern. Klar ist aber, dass dieser Weg langsam beschritten werden muss: Stück für Stück, mit viel Umsicht. Denn meine Damen und Herren, es gibt nicht nur Ängste der Pädagogen, die nicht wissen, was im Rahmen der inklusiven Beschulung auf sie zukommt. Das kann man wirklich nachvollziehen. Es gibt auch Eltern, die Angst haben, was wird denn aus meinen begabten Kindern, wenn plötzlich behinderte Kinder mit in der Klasse sind. Darüber gibt es schon positive Erfahrungen, dass das, wenn die Rahmenbedingungen stimmig sind, keine Nachteile haben muss. Aber meine sehr verehrten Damen und Herren, hier gilt es mit Fingerspitzengefühl heranzugehen, viel Überzeugungsarbeit zu leisten und Schritt für Schritt den gesellschaftlich notwendigen Weg in die Inklusion zu gehen.
Niedersachsen ist auf dem Weg dahin und trifft im Augenblick Schritt für Schritt auch im parlamentarischen Bereich aber auch im Verwaltungsbereich – wir haben das aus dem Kultusministerium gehört – die Vorbereitungen. Man muss an die Lehrerausbildung ran, die notwendige Fortbildung muss organisiert werden, Barrierefreiheit gerade in den ersten Klassen muss sichergestellt sein und die notwendige sonderpädagogische Begleitung muss im vollen Umfang zur Verfügung stehen. Meine Damen und Herren, diese Schritte müssen funktionieren, denn ansonsten werden in unserem Land sehr schnell die Kritiker wieder Oberwasser bekommen und sagen: Seht ihr, wir haben ja gleich gesehen, dass das nicht so ohne weiteres funktionieren kann. Und lassen Sie mich an dieser Stelle eins ganz deutlich sagen: Die Schulexperten und Optimisten, die meinen, das alles geht in unserem Land zum Nulltarif, denen muss ich ganz deutlich sagen: Damit ist nicht zu rechen. Inklusive Beschulung aller Menschen bedeutet, das Schulsystem letztlich neu zu organisieren. Ob und wie viel dies Geld kostet, kann abschließend – im Augenblick wohl - noch niemand beantworten. Meine Damen und Herren, die inklusive Beschulung, das zeigen Erfahrungen gerade im nordeuropäischen Bereich, ist die Schule der Zukunft. Es wird viel über die Zukunft unserer Kinder gesprochen. Meine Damen und Herren, eine echte Zukunft unserer Kinder soll uns schulpolitisch entsprechen Geld oder Haushaltsmittel wert sein!“